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Reiselder Wildschütz und Geiger

Franz Stelzhamer

I.

Im gesegneten Oberösterreichunfern des Hausrucksan einem lustigenLandsträßchen liegt das trauliche Bad St. Thomas mit seinen weitläufigenGast- und Wirtschaftsgebäuden. - Achrücke dich mir näherdu baumgekrönterblumengeschmückter Hügelaus dessen geheimnisvoller Tiefe die lautersteQuelle hervorbrichtdie nicht nur weithin den Wiesgrund erfrischt und dierotsprengelige Forelle ernährtsondern selbst der leidenden Menschheit soersprießliche Labung bietet; jarücke dich näher und gewähre mir Raum indeiner kühlen Laubenhalle und fröhlichen Ausblick in die vielbefreundeteschöne Landschaft! - Hawie die Saaten wogendem fließenden Golde gleichund wie das Sträßchen so saumselig sich krümmt und schlendertum nur nichtallzu bald aus der lichtenlebensfrohen Landschaft in den großen Wald zumüssenwo die düsteren Schatten lagern und die rätselhafte Stille herrscht.- Genug! Oder neinich will gütig sein und noch einen letzten lohnenden Blickerlauben auf das heitere Bild im mächtigen Waldesrahmen; denn kaum daß unseredüstere Geschichte beginntist all die Lieblichkeit verschwunden: die Felderleerdie Blumen dürrdie Bäume kahlder Himmel trüb und kalt - es istHerbst und frostigelichtarme Abendzeit.

Wie die Lebenswärme bei eintretender Kälte aus den Extremitäten sich gegendie Mitte des Körpers zurückziehtso war es jetzt in der weitschichtigenGehöftschaft und freundlichen Umfriedung von St. Thomas ebenfalls: die Zimmerwo die verschiedenen Badegäste aus nah und fern gewohntdie Sälewo sie sichgemeinschaftlich unterhaltendie Laubgängewo sie abwechselnd kühle Rast undluftigen Wandel gepflogen - allesalles leer und verlassen; nur in der großenGemein- oder Gaststube ist einiges Lebenund zwarwie es gewesen sein mochteeinzig und allstetsehe noch die Heilkraft der Quelle entdeckt und derschlichte Bauer von Wirt im grünen Samtkäppchen seinen lieben paar Gästen dasedle Braunbier oder das Branntweingläschen höchst eigenhändig mit einemstereotypen »Gottgesegns!« kredenzt und dargebracht hatte.

Damals wie heut trug die dunkelgebohnte Diele der mächtige Zylinder einernur etwas zugehauenen Eichedie an Härte und Dauer sich wohl mit dem Granitselbst messen könnte. Diese keineswegs verschwendete Macht gilt heute wiedamalsdem Ungestüm und der meist übergroßen Lust der Tänzer auf Hochzeitenund Freigelagen wenigstens gegen untenhin ausreichenden Widerhalt zu setzenundheute wie damals sitzen an den Tischen rund um die mächtige Säule zerstreutegrößere und kleinere Gruppen von Gästendie rauchend und plaudernd ihrenNachttrunk einnehmen.

So war es sonstso ist es heut. Eine kleine Ausnahme macht ein dem Ofennäher gerückter Tischwo es etwas lebhafter zugeht und ungewöhnlicheraussieht. Ursache davon ist ein eben geendetes Geldspieldas eine Anzahl vonBurschenwie nicht seltenvielleicht bis zum Hasard getrieben und das einenund den anderen um seine kleine Barschaft gebracht hatte. Letzteres schließeich darausweil einer der Burschen wie desperat mit der Faust auf den Tischschlägt undum wenigstens noch mit seinem Unglücke zu prahlenausruft:

»So ist es doch allemaldem ohnehin großen Wasser laufen immer noch diekleineren zu.«

»Sei nicht so höflichsag lieber«rief ein anderer mit einemblatternarbigen Gesicht und mit Augenaus denen Verwegenheit und Hohn um denVorrang stritten»sag lieber: Die großen Diebe rauben immer die kleinen aus«.

»Oder«rief der erste wieder»wo Tauben sindfliegen Tauben zu.« »Apah!« rief der Narbige»mit deinen feinen Exempelnwenn das Geld beim Teufelistsag lieber auf gut bäurisch: Der Hund --»Bst! und schäm dichReisel!«gebot die vorbeihuschende Kellnerinund dann lauter: »Guten AbendHerr vonSchwarzmann!«

Gruß und Aufmerksamkeit galt einer eben hereintretenden seltsamenErscheinungeiner von Haut und Haarvon Aug und Anzug dunklen Gestaltkurz -Herrn von Schwarzmann.

»Sie schaffen?« fragte sie alleruntertänigst und gehorsamst ergeben.

»Von der Küche ein Stück Schwarzwild und vom Keller eine Flasche schwarzenDalmatiner«sagte der Dunkle mit einer höchst widerlich fistulierenden Stimme»versteht sichwenn beides vorrätig«fügte er herablassend bei undfistulierte dabei womöglich noch widerlicher; zugleich ließ er sich in einerEcke dem Spieltische gegenüber nieder; und in demselben Augenblickeweiß derHimmeldurch welchen Mechanismus angestecktbrannte auch die Kerze auf seinemTisch und zwar so helldaß alles andere Licht nur ein ärmliches Flimmerngewährte. Die Gäste aber schienen das gewohnt zu sein und ließen sich inihrem Gebaren nicht das mindeste störennur derdem die Kellnerin »Reisel«und »schäm dich« zugerufen hatteder blatternarbige Bursche mit denverwegenen Augenwurde nach Anwesenheit des Dunklenwie es schienheitererund in kurzem bis zum Mutwillen aufgeweckt. Die paar Sechserdie ihm das Spielnoch in der Tasche gelassenwaren schnell durch die Gurgel getriebenund wieihm endlich das schwere Kruggeschäft freie Hand ließgriff er rasch nachseiner Geigedie im kalbledernen Ränzel neben ihm an der Wand hingund nacheinigen lustigen Weisen begann er auf das trefflichsteseine Neigung und seineNot persiflierendin landesüblichem Tone:

»Ih bin a' Spielmannskind
Kann's net verschweign
Kann Kümmernis blasen
Und Traurigkeit geign.

Ih bin á Spielmannskind
Auwehdie Schand
War liaber a' Jagerjung
Wohl in' grean Gwand!

Ih bin á Spielmannskind
Mit der Figlin (Violine)
War liaber mit'n Büchserl
In Tannawald drin!

Aber iabl steckt 's Büchsen
Statt der Geign in Ranzen
Und aft spiel ih a Stück
Dáß d' Rehbeck tanzen.«

Den letzten Vers wiederholendmachte er mit der Geige die Pantomime desSchießensder großen Saite entlockte er einen knallähnlichen Tonden er miteinem scharfen »Paff!« begleitete; zum Zeichen aberdaß der Schuß getroffenmachte er gleich darauf das Zappeln und Zucken eines verendenden Tieres und zwarso charakteristisch und drastisch nachdaß man nicht zweifeln konntederverwegene Bursche hätte das an guten Originalen bereits genügend gesehen undeinstudiert.

Seine Kameraden lachten laut auf und machten weidlich Gesichterals wenn siemit und bei wären; der Dunkle in der Ecke aber tat einen so maliziösenSeitenblick und zugleich so einen hastigen Trunkals wenn er des BurschenGrimasse oder lieber ihn selbst mit hinunterschlucken möchte; JustinedieKellnerindie überhaupt auf den verwegenen Reisel ein wachsameres Aug' zuhaben schienwiederholte nur wieder ihr kurzes »Bst!« und warf ihm einenabmahnenden Blick zu. Der Bursche jedoch griff wieder nach Fiedel und Bogenund»Justin! « rief er»wie singt doch der schwarze Doktor so gern! Nicht wahr?«Er intonierte:

»Mich quält der DämonDurst genannt.«

»Ach! Dieser leidige Dämon quält nicht nur den lustigen Doktor und der hat-« er schlägt auf die Tasche - »hier noch überdies ein wirksames Rezeptdafür-er quält leider auch andereminder gelehrtesowie noch weitgeleertere Leute-«er schlägt wieder auf seine Tasche und macht mit der Handdie Pantomime des Leerseins - »als der Doktor istund da ist dann guter Ratteuer!
- Zwar Meister >Scherein<der vertrunkene Totengräbermeintsolang ernur Schaufel und Spaten nicht vertrinkesei er noch immer ein ganzreputierlicher Mensch; allein es gibt wunderliche Leutedie das nicht glaubenwollen; jadie eines schon für etwas lämpisch erachtendas nur seine Schuh'oder seinen Hut vertrunken hatwährend es doch heilige Barfüßer gibt und diefrommen Väter Kapuziner und Franziskaner auch nur barhaupt gehen. Aber haltmir fällt etwas einich habe ja etwas viel Besseres und Wertvolleres alsStiefel und Hut und was mir am Ende noch viel weniger abgeht als Hut und Stiefel- ich habe ja doch mein sauberes Plätzchen dereinst im Himmeldas will ichjetzt losschlagen! Jajaja!« -Er geigt einen lustigen frivolen Ton und singt:

»Mein Platzl im Himmel -
Ih sag ‘s und ih wag ’s! -
Is már feilwer ‘s will habn
Braucht nár zsagn: ih mags!

Nár zsagn - ih mag's!
Und á paar Sechserl drauf
Und der Handel is gschlossen
Und gschegn is der Kauf. «

Die Burschenseine Kameradenlachten zwardiesmal aher nicht so weidlichwie das vorige Mal; sein Plätzchen im Himmeld. i. seine Seligkeitverkaufenwollendas ging denn doch ein wenig gegen ihre Einfalt und angelernteChristlichkeit; dagegen der Dunkle in der Ecke tat wieder jenen Seitenblick unddiesmal womöglich noch maliziöser und auch wieder den Trunkden hastigendaß es schienals möchte er des Burschen Himmelsplätzchen mithinunterschlucken oder lieber gar ihn selbst. Justinedie emsige Kellnerinaber konnte es für diesmal nicht mehr bewenden lassen bei dem bloßen »Bst!«und dem drohenden Augenwinkejetzt mußte sie sprechen und laut mit Ernstverweisen; - sie sprach: »Gott verzeih mir meine SündenaberReiseldu bistein ehrvergessenerabscheulicher Mensch! Ohnehin nichts habennichts an sichnichts um sichnichts als das bißchen Platz im Himmel nach Christen-Hoffnungund Glauben und das möchte der Nimmersatt auch noch verlümpern und versaufen.Aber nicht ein Tropfen wird eingeschenkt ferner; wären Herr und Frau zu Hauseso geschähe vielleicht noch ganz etwas anderes!

Die ehrliche Kellnerin hatte sich tüchtig ereifertReisel aberstatt sichnur im mindesten von der Keiferin beirren zu lassengeigte wieder lustig undsang mit heller Stimme:

»Mein Pla'tzl im Himmel
Ih sag's und ihwag's..

»Siehund gerade dir Justin«fuhr der Bursche in leichtfertig höhnendemTone fort»ließ ich mein gewiß sauberes Plätzchen am liebsten zukommenwarum? Weil (wie es heißt'.) immer für fünf Kellnerinnen erst ein Platz imHimmel bestimmt istvonwegen -« er machte die Pantomime des Betrügens undUnterschlagens - »vonwegen ihrer übergroßen Gewissenhaftigkeit und Treuenämlich; darum

Schenk einschenk ein
Zwei Koaser-Maß
Vom großen Faß
Und dein soll mein Plátzel sein!«

schloß er wieder singend und geigend.

»Nicht um ein Stengelgläslein voll!« rief Justine»ich möchte mich derSünden fürchten! Aber dein Lästermaul will ich dir stopfen und sagendaß dudich packen mögest oder ich rufe den Knechten.«

Justine war im Ernst böse; denn eine Kellnerin läßt lieber alles als ihreTreu und Ehrlichkeit antasten und bezweifeIn. Reisel aber lachte ihr entgegen:»Tu's nurtu'srufe die Knechterufe meinetwegen auch die Leute von der Straßeje mehr Käuferdesto höher steigt die Ware. Zwei Maß mein Plätzchen imHimmelwer gibt mehr?« rief er im Lizitantentone und drehte den Kopf wiesuchend nach rechts und links.

Justine posselte wirklich aus der Stubedie Knechte aber fühlten sich vielzu verdrossen und müdals daß sie eines bloßen »Gespaßes« halber (wie siees nannten) sich an dem Spielmanneder ihnen überdies manchen Gratistanzaufmachen mußtevergreifen sollten; und als die Klägerin vor Ärger darüberwieder in die Stube zurückkamwar alles anders; Herr von Schwarzmann fort -das rätselhaft helle Licht wieder bis zur Bescheidenheit klein. - An ReiselsTisch war ‘s ruhigdie Burschenseine lockeren Spielgenossen und eifrigenSpäßebelacherauf und davon - die übrigen Gäste in sichtbarer Aufregung;dagegen Reisel selbst völlig still und nachdenklichaber den vollen Maßkrugam Henkel haltend.

Justine dies sehendrief: »Wer hat sich unterstandendir - - - ?«einzuschenkenwollte sie beifügenkonnte es aber nichtes wurde ihr das Wortim Munde verschreckt durch den mit einem mächtigen Faustschlag in den Tischbegleiteten Ausruf eines der Gäste. - »Reisel!« rief er»das hättest dunicht tun sollen! Sackerich bin doch auch keine Letfeigen und kein Heiligerauch nicht -« fügte er bei »aber das-!«

»Ist schon geschehen«sagte Reiselohne seine Stellung zu verändern.

»Was denn? Was denn?« brach Justine in weiblicher Neugier los. Reisel aberohne ihrer Frage zu achtenrief über sie weg gegen den Pocher und Sprecher: »Konnt'ich denn anders und -«er tat einen tiefen Trunk aus dem Kruge - »und glaubt'ich denndaß eins meinen Spaß für Ernst nehmen würde? Der Herr Schwarzmann-«knirschte er. -»Hat dir für deine schlechte Geige und für dein losesSingen schon manchen Krug Bier unverdienterweise bezahlt«fiel ihm Justineverteidigend in die Rede.

»Eilaßt mich mit eurem Herrn Schwarzmann«warf der Pocher herüber»dertut am Ende auch so wenig was umsonst als unsereins und vielleicht noch weniger!Die ganze Kaufgeschichte gef'ällt mir nicht!«

»Neinneingar nicht! Und - du hättest es nicht tun sollenReisel!«erscholl es von allen Gästen.

Justine stand auf glühenden Kohlen. Wie ein Drehmännchen wandte sie sichund nickte nach jedem der Sprechenden und konnte nicht klug werden; da obsiegtedie Neugier über ihre Geduld und »So sage mir ums Himmelswillenund weil duschon nichts umsonst tun willstso versprech' ich dir eine Maß frisch -eiferte sie gegen Reisel - »was ist denn den Augenblickwo ich draußen warso groß Wichtiges geschehen?«

»Hättest du mir früher eingeschenktso brauchtest du jetzt nicht zufragenaber weil ich jetzt dein Bier nicht mehr braucheso mag dir's auch einanderer sagen!« schnippte Reisel.

Aber es war nicht so arg gemeintmein Gottdie Kellnerin und derHausspielmann geben sich manche Stichrededie darum doch nicht schmerzt. Dennkaum gesprochenfaßte er Justine beim Armund sie neben sich niederziehendsagte der Schelm melancholisch spaßhaft:

»Und wer anders als du ist dran schuldwenn dann meine Seel' über kurzoder lang zwischen Himmel und Erde wird hangen müssen: denn mein Plätzchen imHimmel ist - pfutsch!

»Gerechter Gott!« rief Justine und schlug die Hände zusammen - »aber wiedennwie? - Ach Gottdeine arme alte Mutter -»Die darf nichts davon innewerden!« rief Reisel wieder völlig ernstja fast flehend»aber -«setzteer schnellgleichsam zu seiner Entschuldigungbei - »aber konnt' ich dennanders? Ein Schuftwer sein Wort zurücknimmt! - Und ihr hättet nur empfindensollenwie das tutwenn Herr Schwarzmann einem die Augen gefangennimmt. Ichhatte nun einmal mein Himmelsplätzchen ausgefeilscht und mich nach einemKäufer umgesehenund - da tat er'sund gleich darauf - achihr habt es jagesehen! - ohne mich loszulassen trat er an unsern Tisch und sagte - achihrhabt es ja gehört! - wie sagte er nur gleich? Es war bitterboshaft undbeleidigend zugleichdas weiß ich noch -«

»Nuer sagtewenn ich dir's schon wiederholen soll«warf der Pocherherüber»und wenn er mir's gesagt hätteich wollt' ihm schon geantwortethaben! - er sagte: Dein Platz im Himmel ist wohl keinen roten Heller wertaberdu glaubst daran und darum will ich dir dafür die paar lumpigen Sechser gebenjahier ist sogar noch ein Sechserdafür mußt du mir aber deinen Handschlagleistendaß unser Handel gültig ist. So sagte er«rief der Pocher»keinWort anderskeines schönerkeines höflicheraber mirwenn -»Ja - unddabei -«nahm Reisel wieder das Wort -»hielt er noch immer meine Augengefangendaß ich nicht anders als einschlagen und ja sagen konnte.« Reiselerhobwie den Handschlag wiederholendseine Rechte und -»Herr Jesus!«kreischte die Kellnerin»Reiseldu blutest ja an der Hand?«

Reisel blutete wirklich und die Ursache war ein kleiner Ritz an derlinienvollen Flächeden er nur beim Handschlag konnte erhalten haben; denn erwar seither völlig regungslos gesessen.

»Eiwenn eins seinen Glauben schmälert oder etwas Heiliges losschlägtist immer der Teufel mit im Spiele!« warf wieder der Pocher herüber»Reiseldie drei Sechser magst du nur gleich in die Armenseelenbüchse dort neben demWeihbrunnkessel werfen und für heut deine Zeche lieber schuldig bleiben«.

»JajaReiseltu's! Tu's!« ermahnten die andern Gäste und selbstJustinedie erst noch so ärgerliche Kellnerinermahnte ihn dazu und versprachlieber und gern noch die paar Maß für seinen Durst zu borgen bis seine Geigeihm wieder etwas Rechtschaffenes eintragen würde.

Reisel tat es auchaber am Morgenals er sein Räuschchen ausgeschlafenhattefand er zu seiner Verwunderung die Sechser wieder in seiner Tasche. Siehund der fatale Ritz in der Handfläche blutete auch wieder.

II.

Es mochte etwa acht Tage nach dem Vorfall sein - Reisel saß wiederwiejetzt gewöhnlichin der weiten Wirtsstube zu St.Thomas und ließ sich gutgeschehen; denn drei Mäßchen Abendtrunkdas war nun schon seine Tagesordnung!- Da trat ein junger Bauerein früherer Kamerad vom Wald und Wildern hereinverschmitzterarglistiger Gesellan seinen Tisch und sagteindem er sich mitjener widerlichen Freundlichkeitaus der Neid und Bosheit grinsenhart anseiner Seite niedergelassen hatte: »Reisel«sagte er»du hast wohl einenguten Handel gemachtdenn drei Sechser täglich für eine solche Kleinigkeitsind wahrlich nicht zu verachtenaber -«Reisel fuhr unwillkürlich in dieTaschezuckte aberals hätte er sich an etwas Spitzem gestochenebensoschnell wieder zurück»abersiehst dugerad wollt' ich es sagendas Ganzegeht doch nur auf ein langsames Verbluten hinaus -

- Reisel blickte verstohlen und nicht ohne Verlegenheit nach seiner Hand undwirklichsie blutete wieder. - »O der Schwarzmann!« fuhr er wie teilnehmendfort»und danndrei Sechser sind am Ende nicht einmal hinreichenddieGrillen im Kopf wenn sie erst recht überhandgenommen habenzu ersättigen undzu stillengeschweige für deinen eigenen Durst.«

Reisel war in steigender Verlegenheit und es kam ihm vorals wenn er dieGrillen im Kopfe bereits zu spüren anfinge; der Schelm aber machte ein gareinfältiges Gesicht und fuhr weiter: »Darum meine ichauf daß du nicht bloßauf die drei Sechser und - auf die Launen des Herrn Schwarzmann -«fügte ermit maliziöser Betonung bei»angewiesen seiest -«

»Was soll ich tun?« unterbrach ihn Reisel in wahrer Herzensangst. »Eiwasdu stets und immer getansolange du ein ehrlicher Kerls gewesen«grinste derSchelm.

»Sage waswaswas?«hastete der Gefolterte.

»Dumit deinen Luchsaugenhinaus in den Wald auf Lauerstatt hier imWirtshaus faul vor dem Bierkrug!« war die Antwort des Listigen.

Reisel atmete laut auf und seine Augen glänzten in unheimlichem Feuer. »Verführer!«rief er gegen den früheren Waldgenossenergriff den Krug zu einem großenTrunk und - »bring dir's!« schwenkte erer konnte seiner nicht Herr werdenso sehr er sich auch vorgenommen hatte künftig den Wald und seine Waldbrüderzu meiden.

Als der Schelm getrunken hattesagte erfast flüsternd leise vorTraulichkeit und Treueund seine falsche Lippe berührte beinahe Reisels Ohr.

»Reisel!«flüsterte er»du hast deiner Tage manch schönes Stück Wildumgelegtaber schöneren Bockals den ich eben stehen weißkeinen!«

»Warum läßt du ihn aber auch stehen?« fragte Reisel ungläubig lächelnd.»Hmfür mich will sich das Ding nicht mehr gut schickenseit ich >derBauer< bin und geheiratet habe.

»Wohl wahr«sagte Reisel»aber da wird wohl auch der Jäger den Bockwissen.

»Darum ist Gefahr im Verzug«sagte der Schelm »und wäre für dichjedenfalls gescheiterdu ließest jetzt hier den Krugals dort länger denBock stehen!« »Ah pah! Lieber keins von beiden!« lachte Reiselstürzte dasBier hinunter und sich zur Tür hinaus. Der Verlocker folgte. Er konnte aber dembis zum Ungestüm Erhitzten nicht lange Schritt haltenvielleicht auchdaß eres nicht wollte. Denn gleich über der St.-Thomas-Höhe blieb er wie keuchendzurück und rief: »Also merk' dir's wohlunweit der >Kapeller-Schlucht<im jungen Buschwerk-Standhinter dem Holzstoß links!«

»Weiß schonweiß schon!« antwortete Reisel und verschwand in derDämmerung...

Als Reisel in das kleine Stübchen seiner hochbetagten Mutter eingetretenkamwollte derselben wohl seine unmäßige Hast und Eilfahrt nicht ganz rechtvorkommenaber sie sprach voll Milde und sichtbar hocherfreut: »NunJosefsoist doch einmal dein guter Vorsatz Meister gewordenwirst sehenwie gut duschläfst und wie frisch und stark du morgen aufstehen wirst. - Willst duSuppe?.« fuhr sie gutmütig fort»die kocht allbereits im Ofenwillst duaber zum Abendbrot einen Trunk Mostso geh ich dir einen holen zum Nachbar.«

»DankeMutterhabe weder Hunger noch Durstaber -«setzte er völligscheu und kleinlaut bei - »aber ganz zu Hause bleiben kann ich noch nicht; derim Schacher -«

»So bist du schon wieder mit diesem unguten Menschen zusammengewesen? «

»Mutterich weißdu magst ihn nicht leidenich auch nicht sonderl ichaber heut hat er's gut mit mir gemeint. «

Noch sprechendlangte er seine Büchse aus einer unter dem Fußbodenverborgenen Lade hervorprüfte sie mit der Genauigkeit eines Scharfschützenund lud sie dann mit derselben Vorsicht.

Eine Weile hatte die Mutter stillschweigend seinem Beginnen zugesehendannsprach siemehr bekümmert als verweisend: »Also alles wieder vergessenJosefoder leichtsinnig in den Wind geschlagen!«

»Weiß allesMutteralles.«

»Wie hast du's nicht nach deiner letzten Abstrafung erst voriges Frühjahrso feierlich versprochenerst dem Pflegerder dir um unserer Not willen sogardie halbe Strafzeit schenktedann mir und dir selbstdu wolltest dassündhafte Büchsengeschäft und nächtliche Lauern und Schlendern ernstlich anden Nagel hängen und lassen.«

»Tu's auchMutteraber diesen Bock stehen lassenwäre ebenso sündhaft;morgenMutter

»Ach morgen und immer morgen! Wann wird dieses Morgen endlich kommen? Wohlüberholt noch dieses Morgen das Unglück selbstdaß dueinen Flügel amLeibe gelähmtdich heimschleppst oder -«die Alte schwieg und kaute mitihren paar Zähnen an einer heimlichen Tränedie das verknöcherte Haus nichtmehr gern verlassen wollte.

»Ich weiß wohlworauf du anspielstMutterder bitzlige Jäger-Fritzdieellbogenlahmewinddürre Heugeigeeh der einmal zum Anschlagen kommtderweilhab' ich längst meine zwei Läufe abgefeuert und - getroffen hab' ich freilichnur die Hälfte von demwas er gefehlt hatdas weiß die Heugeige!« spaßteund prahlte der übermütige Wilddieb.

»JosefJosefStolz und Vermessenheit geht vor dem Falle. Der besteSchwimmer ist ertrunkender gewagteste Springer hat Hals und Bein gebrochen unddenk nur an deinen unglücklichen Bruder Kasparder (Gott habe ihn selig!murmelte die Alte und schlug ein großes Kreuz) vornehme kaiserliche Dragonerund ausgesuchte Reitmeistermußte er nicht durchs Roß ein schauerliches Endenehmen?«

»WohlMutterwohl! Aber jeder Verunglückte wird auch ein Schutzengel fürdie Seinigen in Not und Gefahr.«

»Glaubst du und deinesgleichenweil ihr in eurer Verwegenheit stets einenSchutzengel brauchtet. Josefsei lieber du dein Schutzengelmeide den Wald undlaß die Büchsebist ein kunstreicherweit berufener Spielmann und kannstaußerdem ein und den andern nützlichen Handgriff - Josef -«

Die letzten Worte hatte die gute Alte schon in den Wind gesprochen. Josef warebenso leise als schnell aus dem Stübchen entwischt. - Wiederwie kurz vorhertraurige Stillenur zuweilen vom schwer und müde schleifenden Gange oder vombetenden Gemurmel der Alten unterbrochen. Draußen wechselte kühlerRegenschauer mit flüchtigen Mondesblickenso daß Reisel recht gut an denbezeichneten Platz gelangen konnte. Nur einige Maleund das so flüchtig undleisewie die Eule vorüberflatterterinnerte sich Josef der Reden undErmahnungen seiner Mutterdie Eile und Begierde nach der Beute war zu groß. Eher noch ganz im Walde angelangt warglaubte eran dessen Saume etwas nochDunkleres als der Wald selbst huschen und im Dickicht verschwinden zu sehenundunwillkürlich durchschauerte ihn ein Gedanke an Schwarzmann und seinenverwünschten Handel mit ihmdarum nur schnell vorwärtsum bald wieder vonanderem Gelde zehren und zechen zu können! - Jetzt war er in den Waldbereicheingetreten und angehaucht von dessen eigentümlichem Odemumfangen von der ihmallein eigenen Dunkelheit! Aber dem wilden Jäger war das nichts NeuesnichtsBefremdliches und Unheimliches; im Gegenteilejetzt empfand er sich in seinemElement und bestens geborgen! Waren ihrer doch drei: sein Zwilling und erselbst! - Aber klang es nicht jetzt wie Flüstern von Menschenstimmen an seinOhr? - Er stand einen Augenblick und horchte. - Nichts! Achder Wald hattausenderlei Stimmen! Nur vorwärtses ist besteaber auch höchste Zeit! -Und jetzt mocht es flüstern um ihn und rauschen und knisternihn durfte nichtsmehr stehen und stutzen machen. -

- So kam er an die bezeichnete »Schlucht« unfern des schönen Buschwerkesund schon stand er »links hinter dem Holzstoß«. - Als Reisel ein wenigausgeschnauft hattesah er sichsoviel es der jedesmal flüchtige Mondblickerlaubteerst auf seinem Stand einfach der Bequemlichkeit wegen zurechtdannaber des Bockes halber in seiner Umgebung mit praktisch prüfenden Augen undklug abwägendem Sinne um. Hatte ihn anders »Der im Schacher« nicht angelogenund zum besten gehabt - und das hatte er nicht! - Neinnein! - So muß der Bockdort geradewo jetzt der Mondstrahl durchbrichterscheinenund zwar baldjeden Augenblick. - So kalkulierte der Schütz und spannte den Hahn. - Siehwieda das Echo schön lautet: den ganzen Schall vom Spannen wirft es wiederholendzurück! Oder sollte - horches rauscht und knisternde Tritte werden hörbar -er ist ‘sder Bock!

- Just streckt er witternd das schön gekrönte Haupt aus dem Buschwerk -armes Tierder Mensch ist klügerer stiehlt dir den Wind und mit ihm deineWaffe! - Da steht er arglos und stolz im Gefühle seiner Lebenskraft; doch waslebthat den Beruf zu sterben. - Ein Knallein Fall! - Aber horchwie da dasEcho schön lautet: den ganzen Schall vom Schuß wirft es wiederholend zurück;noch mehrauch die Wirkung - o du tückisches Echo! - Siehein KnalleinFall! - Dort liegt der Bockhier - Reiselder Schütz'in seinem Blute. Beideächzen gleich hilflos im Todeskampf; auf beide blickt gleich teilnahmslos derMond; über beide weht gleich schonungslos kalt der Regenschauerund imnächsten Augenblick liegen beider Leiber gleich regungslos - tot.

Ehe noch der Tag recht grautepochte es an Mutter Brigittens Fenster. Leiseleise pochte esaber Brigitte hörte es doch; denn sie hatte noch kein Augezugemacht. Der plötzliche Rückfall ihres Sohnes nach so langer Bezähmung insein altes verbrecherisches Übelsein gestriges verstohlenes Abdrehen undEnteilenvorzüglich aberdaß wieder »der vom Schacher«auf den sie nuneinmal nichts hieltmit im Spiele seidas alles ließ ihr Herz und ihren altenKopf zu keiner Ruhe gelangen. Eine Weile hatte sie gebetetaber das Gebetwollte heut auch keine rechte Kraft und Beruhigung geben. Dann hatte sie sichdie Ermahnungs und Strafrededie sie dem Heimkehrenden halten wollezurechtgemacht; das nahm ihr eine gute Weile und die Hoffnungdaß es doch wohlfruchten könneerhob sich wie ein schöner grüner Baumin dessen Schattendie kum-mervolle Alte nun so recht und schlecht dahinlagbis es jählings amFenster pochte.

»GleichJosef; gleichei sieh! Hab' ich dir die Schnalle zu legenvergessen! Gleichgleich!« Also gegen das Pochende rufendstand siesoschnell es ihr Alter erlaubteauf und trippelte gegen die Türum zu öffnen;da pochte es wieder und »Brigittemacht nur das Fenster ein wenig auf!« riefdringend eine - fremde Stimme.
»Um Gottum Gott!« seufzte voll Schrecken die Alte und öffnete.
»Ist der Josef schon heim?«
»Noch nicht!«
»Dann lauf nur schellBrigitteund nimm dir Leute mit; dann liegt dein Sohnangeschossen im Holz in der Nähe von der Kapellen-Schlucht. Lauftwas ihrmögtund schickt auch gleich einen Eilboten um den Geistlichenaber lauftlauft!« - Und noch sprechendlief der Unglücksbote selbst gleichfalls wiedervon dannenwoher? wohin? Brigitte wußt es nichtbraucht es auch nicht zuwissenachdie Arme wußte nun sonst genuggenug! - Die ausersonnene Mahn-und Strafpredigt verwandelte sich in lauter Leid und Wehklage und derWehklagenden folgten die Leute ungebeten bis hin zur schaudervollen Stätte. Dalag der UnglückssohntotBlut und Leben im Nachtfrost erstarrt und gestockt.- Nach seinem liegenden Gewehredessen einer Lauf noch geladen warwie auchaus den zerstreuten Blutspuren zu schließenhatte Reisel noch mit dem Todegerungen und mußte endlich nur der gänzlichen Hilflosigkeit erlegen sein. -

Im Stübchen der Mutterder plötzlich vor innerer Erstarrung auch dieTräne versiegt warüberzeugte sich darauf; mit kaltemgemessenem Ernste denLeichnam untersuchenddie gerichtsärztliche Kommission vom Tatbestandedanndurfte der Tote auch begraben werden. Nebst der gebrochenen alten Mutter ginghinter der Bahre noch eine Persondie tiefesaufrichtiges Leid trug - Justinedie emsige Kellnerindie es nun nicht genug beklagen konntedaß sie dieetwelchen Tage zuvor Reisel sein Plätzchen im Himmel nicht abgelöst hatteach! damit sie es ihm jetzt wieder hätte schenken können. Denn Herr vonSchwarzmann hatte gleich nach dem Vorfalle verreisen müssennach Paris odernoch weiterman wußte nichtwohin.

Und nun möchten meine Leser und Zuhörer wohl auch gerne wissenwas denndie gerichtliche Untersuchung für ein Ergebnis geliefert hatte?

Jaein sehr interessantes: »Der« - gleich nach der Aussage der Mutterdringend verdächtigespitzbübische - »vom Schacher« war richtig mit imSpiel. Aus Neid und Bosheitvorzüglich aber aus Wohldienerei gegen den Jägerhart er den leicht entzündbaren Spielmannder in letzter Zeitwie wir gesehenhabenwieder ganz besonders schwach in seinen Grundsätzen geworden wardagegen aber stark durstig und spielsüchtighinausgelockt in den Waldwo dannder saubere Jägernoch ein ähnlicher und er selbst das Bravourstück an einemelenden Menschenleben vollführt haben. - Wer von den drei erbärmlichenMeuchelmördern der eigentliche buchstäbliche Täter gewesennicht wahrliebeLeser und Zuhörerdas kümmert uns gar nichtuns ist einer so schmählich alsder andere; das Gericht aberhier wie in allem streng und genaumachte einenUnterschied und verurteilte den einen zu zwei Jahrenden andern zu einem undden dritten zu noch weniger Zeit Zuchthausstrafe; denn die verbrecherische Untatan Reisel war nicht etwa Mord oder Totschlagsondern nur »eine schwereKörperverletzung mit nacherfolgtem Tode!« -

Ein junger Bauerder natürlich kein Jurist warhat den »Mördern« zuStraf und Schande das »Reisel-Lied« gedichtetdas lang im Munde des Volkesging. Weil aber das Lied im letzten Umschwunge der Zeit nebst vielen andernverstummt oder gar verlorengegangen istso hab' ich es zu Nutz und Frommen desLesers treu nach den Hauptsachen in ein Geschichtchen verwandelt und ein fürallemal aufgeschrieben.